Wie oft haben Sie gehört, dass die Digitalisierung ganze Branchen verändert und sogar neue schafft? Konzerne wie Google, Facebook und sogar Amazon haben ihre Größe vor allem „virtuellen“ Services zu verdanken, die sich innerhalb von Computern abspielen und sich daher vergleichsweise leicht skalieren lassen. Notfalls baut man einfach ein größeres Rechenzentrum und optimiert ein paar Algorithmen. Doch jetzt drängen die Unternehmen mit innovativen Ideen in die „echte“, physische Welt. Und stoßen dabei zum Teil auf unerwartete Probleme.
Selbstfahrende Autos, vernetzte, intelligente Rauchmelder, Drohnen, die selbstständig Pakete ausliefern, Luftschiffe, Satelliten und Laser, die ganze Kontinente mit kostenlosem oder kostengünstigem Internet versorgen sollen, Supermärkte ohne Kassen: An Ideen für disruptive Services für die „reale“ Welt mangelt es den Konzernen nicht. Und all diese Projekte sind nur denkbar, weil es den Unternehmen gelungen ist, gigantische Serverfarmen aufzubauen, die jetzt Daten, Rechenleistung und Vernetzung für die neuen Angebote bereitstellen.
Doch in der Praxis zeigt sich oft, um wie viel leichter es ist, funktionierende Angebote in der digitalen Welt zu entwickeln. Zwar können wir mit unserem Smartphone sprechen und es sucht uns passende Informationen heraus und erinnert uns an Termine, aber es tut nichts. Haushaltsroboter, die uns tatsächlich Arbeit abnehmen und nicht bei der erstbesten Gelegenheit den Treppenabsatz zum Harakiri nutzen? Fehlanzeige.
Probleme in der realen Welt
Viele Unternehmen, die aus der „digitalen Welt“ stammen, stellen mittlerweile fest: In der realen Welt können die Rahmenbedingungen nicht perfekt kontrolliert werden! Und so tauchen plötzlich unerwartete Probleme auf:
- Da werden anfliegende Drohnen auch mal vom Winde verweht oder vom Wachhund angegriffen, der sich belästigt fühlt. Selbst Kameradrohnen wurden im Zoo schon Opfer tierischer Selbstjustiz. Und schon jetzt werden Drohnen als Sicherheitsrisiko und Störfaktor angesehen. In jedem Paketwagen befinden sich hunderte Pakete … das sind viele Flüge, wenn die neben eiligen Medikamenten und Pizza alle durch die Luft befördert werden sollen.
- Viele vernetzte Geräte zur Hausautomatisierung sind derzeit eher Sicherheitsrisiken denn nützliche Helfer. Zu Überwachungs- und Sicherheitskameras, die so schlampig programmiert sind, dass sie die Aufnahmen via Internet jedem auf Abruf zur Verfügung stellen – auch potenziellen Einbrechern, die sich davon überzeugen können, dass das Objekt leer ist, und dann die Kamerasteuerung übernehmen, um ungestört aktiv werden zu können, braucht man gar nichts zu sagen. Und wenn der vernetzte Rauchmelder einen Fehlalarm auslöst, kann schon mal ein ganzer Wohnblock unsanft aus dem Schlaf gerissen werden. Immer noch besser, als wenn es wirklich gebrannt hätte. Wenn nur nicht das Heizungsthermostat auf stur schalten würde und die Wohnung nicht so eiskalt wäre.
- Und autonome Fahrzeuge haben mittlerweile Millionen Testkilometer absolviert. Zusätzlich zu den Daten, die die Sensoren in Echtzeit liefern, weiß das Auto vorab, wo die Straße verlaufen sollte. Aber was passiert, wenn es plötzlich stark schneit und die Fahrbahn nicht mehr erkennbar ist? Oder Sensoren einen querstehenden Lkw-Trailer nicht als Hindernis, sondern als Schilderbrücke interpretieren? Und werden sich Passagiere wirklich freiwillig in selbstfahrende Pkw setzen? Oder wird man der Technik misstrauen und lieber selbst das Steuer übernehmen?
- Auch bei Projekten, die kostenloses Internet bieten wollen, kann es zu unerwarteten Problemen kommen: Als in New York alte Telefonzellen zu kostenlos nutzbaren Internet-Terminals wurden, beschwerten sich Anwohner über die Art der Nutzung durch manche Zeitgenossen, die dort jetzt lautstarke Partys feierten (Musik-Streaming sei dank) oder sich in aller Öffentlichkeit Pornos anschauten. Die Ballons und Blimps, mit denen abgelegene Regionen mit Basis-Internetdienstleistungen versorgt werden sollten, stürzten nicht nur unvermittelt ab, sondern Facebook musste auch die Erfahrung machen, dass Regierungen und betroffene Bevölkerung solch einen „Almosen“-Dienst gar nicht wollten und es regulatorische Schwierigkeiten gab.
- Seit Jahren werden Amazon große Ambitionen nachgesagt, stärker ins Retail-Business einsteigen zu wollen und flächendeckend Ladenlokale zu eröffnen. Die wenigen Amazon-Läden, die es gibt, sind aber eher Concept-Stores. Es ist gar nicht so einfach, die Online-Vielfalt und die ausgeklügelte Warenlogistik auf ein reales Ladengeschäft zu übertragen. Schließlich soll der Kunde vor Ort nicht denken: „Hätte ich mal lieber online bestellt.“ Temporäre Pop-Up-Stores gibt es häufiger, aber das sind eher Showrooms für Amazons eigene Produkte.
Neue Rahmenbedingungen für die nächste Phase der digitalen (R)Evolution
Unbestritten ist, dass wir den Beginn der zweiten Phase der Digitalen (R)Evolution erleben: War das Internet mit all seinen Services zunächst nur auf dem stationären PC verfügbar, ist es über Notebooks und Smartphones „mobil“ geworden und immer dabei. Und jetzt werden zunehmend die Dinge um uns herum „intelligent“ und „vernetzt“.
Die Unternehmen, die aus der gut kontrollierbaren digitalen Welt kommen, stellt das aber vor ganz neue Herausforderungen. Plötzlich müssen sie sich damit herumschlagen, dass es nicht reicht, ein paar weitere Rechner zu installieren und mehr Leitungskapazität bereitzustellen, um die Angebote einem größeren Nutzerkreis zur Verfügung zu stellen. Plötzlich spielen Physik, Umwelteinflüsse, soziale und regulatorische Faktoren eine Rolle und machen den Roll-Out schwieriger. Die Welt da draußen ist so schrecklich unorganisiert und unberechenbar!
Und auch die Geschwindigkeit und die Iterationsmöglichkeiten sind anders: Software kann ständig aktualisiert werden – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber wenn das Design der Drohne zeigt, dass sie zu windanfällig ist, ist das Update nicht per Software möglich. Wenn der autonomen Fahrzeugflotte hilfreiche neue Sensoren fehlen, geht das nicht ohne zeitaufwändige und kostspielige Nachrüstaktion. Und vielleicht geht es gar nicht und es muss erst ein neues Modell entwickelt werden. Nichts mit atemberaubender Entwicklungsgeschwindigkeit und marginalen Kosten für Anpassungen.
Das gilt übrigens auch für den Unternehmenseinsatz: Auf dem Papier liest sich „Industrie 4.0“ hervorragend. Aber die Produktion wirklich zu automatisieren gelingt am leichtesten, wenn man auf der grünen Wiese komplett neu mit den Planungen anfangen kann – frei von Altlasten, bestehenden Verpflichtungen und Restriktionen.
Und es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: Hardware ist teuer! Elon Musk möchte Internet-Dienste weltumspannend gerne mit Hilfe von Satelliten anbieten. 4.425 Mini-Satelliten braucht er dafür. Das sind mehr als die 4.256, die in diesem Jahr insgesamt um die Erde kreisten (und von denen weniger als 1.500 überhaupt in Betrieb sind). Billig wird der Spaß nicht: Um das Satellitennetzwerk aufzubauen, werden samt Raketenstarts rund 10 bis 15 Mrd. Dollar veranschlagt. Vielleicht auch mehr. Zahlen werden das die Nutzer müssen.